Nachdem die Versuche Landgraf Philipps von Hessen, den Täufern in seinem Land mit Milde, aber Bestimmtheit zu begegnen, wenig erfolgreich blieben und ihre Lehren stattdessen immer mehr Anhänger fanden, bat der Landgraf im Sommer 1538 den Straßburger Stettmeister (Bürgermeister) um die Entsendung Martin Bucers nach Hessen. Der Straßburger Reformator war bereits 1529 beim Marburger Religionsgespräch anwesend gewesen, und hatte sich in Straßburg, nach der Maxime, das Verlorene zu suchen, erfolgreich um die Auseinandersetzung mit den Täufern bemüht. Mitte Oktober traf Bucer in Hessen ein und führte drei Tage lang, vom 30. Oktober bis 2. November 1538, in Marburg ein öffentliches Gespräch mit einigen führenden Köpfen der hessischen Täufer. Sie waren 1536 bei einer nächtlichen Versammlung in Gmünden an der Wohra festgenommen und seither gefangen gehalten worden, weil sie sich weigerten, sich unter Eid dem Landesverweis zu fügen. Diese Gespräche sind in dem vorliegenden, 42seitigen Protokoll festgehalten. Es ist von dem hessischen Hofgerichtssekretär Valentin Breul während des Gesprächs niedergeschrieben worden. Diese Unmittelbarkeit zeigt sich auch an einigen Streichungen, die daraus resultieren, dass der Schreiber bemerkte, dass er einige Worte ausgelassen hatte oder der dreimaligen Korrektur des Wortes „Israel“ sowie dem inkonsequenten Gebrauch von direkter und indirekter Rede.
Aus der langen Disputation wurden hier zwei zentrale Stellen (Bl. 19r–24r), nämlich über die Taufe und die Stellung zur Obrigkeit ausgewählt, die am zweiten Tag, dem 31. Oktober, einem Donnerstag, zur Sprache kamen. Bucers Gegenüber ist Georg Schnabel aus Allendorf / Lumda, der möglicherweise mit dem ebenfalls aus einem Allendorf stammenden osthessischen Täufer Melchior Schnabel genannt Rinck verwandt gewesen ist. Im August 1538 war es ihm und einigen Mitgefangenen in einem filmreifen Schelmenstück gelungen, mittels einer von Frauen eingeschmuggelten Säge aus dem Gefängnis in Wolkersdorf ausbrechen. Der schon damals mit der Angelegenheit befasste Valentin Breul fand im Gefängnis nur noch einen Brief und eine Schrift „Verantwortung und Widerlegung“ vor, die sich mit den in der hessischen „Wiedertäuferordnung“ gegen die Täufer erhobenen Vorwürfen auseinandersetzte. Ihr Verfasser ist wohl ebenfalls Schnabel. Wie in der Disputation erweist er sich darin als gewandt, bibelfest und theologisch beschlagen. Diese Vorgänge gaben den unmittelbaren Anlass dazu, in der öffentlichen Disputation erneut das theologische Gespräch zu suchen.
Bucer argumentiert vor allem mit Analogieschlüssen: Nein „Tauft die Kinder!“ stehe nirgends in der Bibel, aber wenn sie doch selig seien, dann dürfe man sie auch taufen; wenn Gott das Volk Israel erwählt habe, dann doch inklusive seiner Kinder; wenn Jesus den Bund mit Israel auf alle Völker und sogar die Heiden ausgedehnt habe, dann doch auch auf die Kinder, und schließlich: Wenn man all das unterlasse, was nicht explizit in der Bibel stehe, dann dürfe man Frauen nicht zum Abendmahl zu lassen, was doch offenkundig unrichtig wäre (ein bemerkenswertes Argument für kirchliche Gleichberechtigung), dann müsse man den Sabbat anstatt den Sonntag feiern und die Kinder wieder beschneiden. Um diese Art der Argumentation einordnen zu können, muss man den Hintergrund der scholastisch geprägten akademischen Disputation vor Augen haben, die Bucer, der zunächst Dominikaner war, 1515/16 in Heidelberg studiert hatte, dann Hofkaplan von Pfalzgraf Friedrich II. und Prediger in Weißenburg (Wissenbourg) und Straßburg geworden war, zutiefst vertraut war.
Dahinter stand aber die zentrale Glaubensfrage nach der Bedeutung der Taufe. Ist sie, wie Schnabel meint, ein Initiationsritual in die Gemeinde der Glaubenden, und damit an Bekenntnis, Umkehr und Buße gebunden, oder ist sie das sichtbare Zeichen und Siegel für den Beginn des Bundes zwischen Gott und dem Menschen und damit die Voraussetzung für die Erlösbarkeit des Menschen (die sich im Glauben freilich noch bewähren muss)? Damit verband sich auch die Frage, was mit den ungetauft Verstorbenen geschieht – in Zeiten hoher Kindersterblichkeit ein drängendes und bedrückendes Problem! Bucer entwickelte eine Dogmatik, die sich auf die Gesamtheit der Schriftüberlieferung stützt: Nach seiner Darlegung sind Kinder- und Erwachsenentaufe zweierlei: Die Erwachsenentaufe stehe in der Tradition der Taufhandlungen der Apostel und setze die Buße voraus, die Kindertaufe sei an die Stelle der alttestamentliche Beschneidung getreten, sei Ausweis für den Bund mit Gott und Auftakt, nicht Abschluss der Belehrung im Glauben.
Schnabel entzog sich Bucers Argumentation immer wieder, indem er betonte, er wolle sich an die Bibel halten bzw. alles, was dort nicht explizit geregelt sei, beiseitelassen. Letztendlich war der Konflikt mit logischen Argumenten auch nicht aufzulösen, sondern nur weltanschaulich zu entscheiden. Bucer räumte das indirekt mit seinem Schlusswort ein, die Diskussion in diesem Punkt stehe „im urteil Gottes unnd der kirchen“. Damit war nun aber gerade nicht eine weltanschauliche Offenheit gemeint, sondern die auch an anderer Stelle des Gesprächs wiederholte, dringende Aufforderung, sich von der Kirche, die in der Nachfolge Christi stehe, nicht zu trennen. Die Möglichkeit zu freier weltanschaulicher Entscheidung war dem 16. Jahrhundert unbekannt.
Dennoch waren die aufgeworfenen Probleme nicht unüberbrückbar. Einig war man sich insbesondere in der Notwendigkeit einer Verschärfung der Kirchenzucht. Im vorliegenden Gesprächsausschnitt kommt das in Bucers abwägendem Urteil zum Ausdruck, er sei dafür, (Taufen) zu feiern, weil auch in der Bibel erfreuliche Anlässe schon immer gefeiert worden seien, aber gegen Missbräuche wolle auch er einschreiten. Mit Bucers Zusagen und der wenig später ausgearbeiteten „Ziegenhainer Zuchtordnung“ gelang es in Hessen, diejenigen Täufer, denen es weniger um dogmatische Auseinandersetzungen, als einen gelebten Glaubensernst – oder ein ernsthaftes Glaubensleben – ging, wieder in die Gemeinden zu integrieren. Mit der Schaffung der Firmung wurde noch im selben Jahr die von den Täufern eingeforderte Initiationshandlung NACH vollzogener Lehre, Buße und Umkehr geschaffen. 1540 schlug Bucer dem Landgrafen sogar vor, Georg Schnabel dem hessischen Reformator Adam Kraft für die Visitation an die Seite zu stellen.
Weitaus weniger Raum – nur eine gegenüber zehn Seiten – entfällt schon rein äußerlich auf die folgende Frage nach der Obrigkeit. Immer wieder war den Täufern vorgeworfen worden, sie lehnten jede Obrigkeit ab und trachteten nach Umsturz und Aufruhr. Neben allen theologischen Anfeindungen („Ketzerei“) hatte dieser profane Vorwurf die Verfolgung zur sicheren Konsequenz, häufig durch Verhängung der Todesstrafe. Schnabel merkt dazu an, man müsse gemäß der Bibel der Obrigkeit folgen, man müsse ihr aber den Gehorsam entziehen, wenn sie unrecht handle. Damit ist die bis heute aktuelle politiktheoretische Frage nach staatsbürgerlicher Gehorsamspflicht und einem Widerstandsrecht aufgeworfen, und danach, wo die Grenzen zwischen beidem zu ziehen sind und wer sie zu ziehen hat. Bucer räumt ein, man müsse Gott mehr gehorchen, als den Menschen. Er will es jedoch nicht ins Belieben des einzelnen stellen, darüber zu urteilen, sondern sieht vielmehr die Obrigkeit in der Verantwortung („uff der obern gewisßen“) für die von ihr angeordneten Taten. Gleichzeitig markiert er eine sehr bedeutsame Ausnahme: Wenn die Obrigkeit zu offenkundigem Unrecht auffordert, hat der Untertan das Recht oder sogar die Pflicht („da soll er nit“), ihr den Gehorsam zu verweigern. Nicht immer in der Kirchengeschichte ist diese Frage so eindeutig beantwortet worden.