Landgraf Philipp von Hessen bekannte sich persönlich seit Sommer 1524 zur Lehre Luthers und ließ seither die evangelischen Prädikanten in Hessen gewähren. Auf dem Speyrer Reichstag von 1526, der den Landesfürsten indirekt die Bekenntnisfreiheit zugestand, hatte er dieses Bekenntnis öffentlich gemacht und den Theologen Franz Lambert von Avignon in seinen Dienst genommen. Franz Lambert stammte aus der Provence, hatte als Franziskaner Predigtreisen unternommen, auf denen er in Kontakt mit den Gedanken der Reformatoren gekommen war; daraufhin hatte er den Orden verlassen und sich 1523 kurzzeitig an der Universität Wittenberg aufgehalten. Über Stationen in Metz und Straßburg war er nach Speyer gezogen und folgte dem Landgrafen von dort nach Kassel. Für den 20. Oktober 1526 berief Philipp eine Landesversammlung nach Homberg an der Efze ein, um, so heißt es in einem der Ladungsschreiben „von den christlichen Sachen und Zwiespalten“ zu handeln. Geladen waren die üblichen Landtagsteilnehmer, Ritterschaft, Klöster und Städte, aber auch Pfarrer und Kapläne. Es handelte sich also um einen „Landtag plus“, weshalb man von einem „kirchlichen Landtag“ oder einem „Miteinander von Synode und Landtag“ gesprochen hat, was zutreffender ist als die gängige Bezeichnung „Homberger Synode“, denn die Synode setzte eine Kirchenverfassung voraus und der Landtag konnte nicht in kirchlichen Fragen entscheiden. Aber schon die Zeitgenossen waren sich über den Charakter der Veranstaltung nicht im Klaren, und Philipp ließ ihn bewusst offen. Vom 21.–23. Oktober tagte die Versammlung in der Homberger Stadtkirche St. Marien. Als Grundlage der Beratungen dienten 158 Thesen Franz Lamberts, die er später unter dem Titel „Paradoxa“ (Gegensätze, nämlich zwischen dem biblischen Ansprüchen und der kirchliche Realität) veröffentlichte, und die Adam Krafft vor Ort in der Volkssprache erläuterte. Mit dem aus dem (vorreformatorischen) Kirchenregiment abgeleiteten Anspruch, in Kirchenfragen selbst handeln zu können, und der Festlegung auf die Bibel als alleiniger Richtschnur des Glaubens hatte Philipp einen Rahmen vorgegeben, der den Verlauf der Versammlung wesentlich beeinflussen sollte. Denn er entzog damit den Verteidigern des alten Glaubens, insbesondere dem Marburger Franziskaner-Guardian, den bisher gültigen und tragenden argumentativen Boden aus Kirchenrecht, -lehre, -tradition. Auf diesem Weg wurde man sich einig, eine Kirchenreform durchzuführen und eine Reformationsordnung für die Landgrafschaft Hessen aufzustellen. Philipp schuf damit Öffentlichkeit und, ungeachtet der strittigen Rechtsgrundlagen, durch diese Öffentlichkeit Legitimität für die Annahme und Durchführung der Reformation in Hessen.
Bis Mitte Dezember entstand daraufhin unter Federführung Franz Lamberts die „Reformatio ecclesiarum Hassiae“, eine auf 34 Kapitel mit 195 Sätzen aufgebaute Kirchenordnung, die nichts Geringeres war als eine Kirchenverfassung für eine neu aufzubauende hessische Landeskirche (häufig als „Homberger Kirchenordnung“ bezeichnet). Sie beschrieb Ämter (Pfarrer („Bischöfe“), Diakone, Visitatoren) und Verfahren (jährliche Synoden, Visitationen). In einer Mischung aus Freiwilligkeit und Zwang sollten die Gläubigen für die neue Lehre gewonnen oder davon ausgeschlossen werden. An die Stelle der Klöster sollten Hospitäler, Schulen und eine Universität mit einem landesherrlichen Stipendiensystem treten. Da sie sehr stark auf den Aufbau der Kirche von der Gemeinde her und auf gemeindekirchliche Elemente (z.B. Pfarrerwahl) setzte, wurde sie als „revolutionär“ und, mit Blick auf die Entwicklung in Oberdeutschland, visionär bezeichnet. Ihre Umsetzung hätte der Reformation in Hessen ein anderes Gepräge gegeben.
Doch vor ihrer Inkraftsetzung holte sich der Landgraf noch einmal den Rat Luthers ein – und erhielt mit dem vorliegenden Brief eine klare Absage.
Luthers Brief lässt erkennen, dass er bereits Erfahrungen mit der Öffentlichkeit gemacht hatte: Er verteidigte sich gegen den (sicherlich nicht unberechtigten) Vorwurf, die Wittenberger, Melanchthon und er, wollten nichts anderes gelten lassen als ihre eigene Meinung, und er kannte die Mechanismen dieser Öffentlichkeit, die ihm auch dann eine Beteiligung an der „Reformatio“ unterstellen würden, wenn er sich davon fernhielte. Diese Verteidigung nach vorne erfolgte nicht ohne Grund. Aus einem nur neun Tage später verfassten Schreiben eines Heinz Hessus ist bekannt, dass man in Wittenberg weder von der Person Franz Lamberts noch von seinen Schriften angetan war. Zwischen dem Speyrer Reichstag und der Homberger Versammlung hatte sich Philipp eng an den Rat Luthers und Melanchthons und ihres Landesherrn, Kurfürst Johann von Sachsen, angelehnt. Nun sah Luther den Landgrafen offenkundig in falsches Fahrwasser geraten. Es liegt auf der Hand, dass er sich ein Reformationsprogramm wie die „Reformatio“ nicht wünschte. Er war aber klug genug, über Franz Lambert und die „Reformatio“ kein einziges Wort zu verlieren, sondern seine Vorbehalte hinter allgemeinen Bemerkungen über die richtige Vorgehensweise zu verbergen:
Dabei brachte er, teilweise sprichwortartig verkürzt, eine Reihe kluger und bedenkenswerter Maximen zu Papier: Gesetzemachen ist eine gefährliche Sache! Demut und Gottesfurcht sind deshalb angezeigt! Im stillen Kämmerlein lässt sich leicht etwas ausdenken. Aber Vorschriften machen und sie befolgen sind zwei paar Dinge! Kein Gesetz wird so umgesetzt, wie es einmal konzipiert wurde. Man soll mit wenigen Regelungen beginnen, der Rest kommt schneller, als einem lieb sein kann! So ist es bisher allen großen Gesetzgerbern in der Welt ergangen (Mose, Christus, den Römern und dem Papst). Deshalb soll man praktisch anfangen, mit mündlichen oder knappen schriftlichen Anweisungen, und erst wenn sie sich bewährt haben, eine Ordnung daraus machen, aber ja ein kleines Büchlein! Die Maßregel muss dabei sein: Kurz und gut, Weniges und Richtiges, nicht zu hastig, aber kontinuierlich weiter!
Dahinter steht die Frage nach einem induktiven (eine normative Grundlage schaffen und sie umsetzen) oder deduktiven (einen neuen Geist schaffen, ihn zunächst leben und dann in Gesetze gießen) Vorgehen: Luther plädierte für das zweite. Er wollte die Reformation durch die Verkündigung des Evangeliums entwickeln, nicht aus Gesetzen ableiten. Stattdessen skizziert er ein Idealbild, wie Reformation verwirklicht werden sollte: Zunächst einmal sollten einige Pfarrer gemeinsame Praktiken entwickeln und sie leben, und wenn das funktionierte, sollten sich die anderen daran ausrichten und schließlich könne man es landesweit einführen. Das war ein Gegenentwurf zu Franz Lambert und der „Reformatio“, der nicht Fürst und Gemeinde, sondern die Theologen in den Mittelpunkt der Reformation rückte, aber natürlich war es kein operationalisierbarer Masterplan zu deren Durchführung. Beiläufig lässt Luther in seiner Argumentation noch eine bedeutsame, der späteren historisch-kritischen Methode der Bibelauslegung vorgreifende Aussage über die Entstehung des Dekalogs einfließen: Die zehn Gebote seien Mose keineswegs, wie es der biblische Bericht will, auf dem Berg Sinai von Gott Wort für Wort offenbart worden. Mose habe vielmehr lediglich das in Schriftform zusammengefasst, was als Gewohnheitsrecht bereits in Gebrauch war und sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt hatte.
Landgraf Philipp zog aus Luthers Stellungnahme seine eigenen Schlüsse: Er veröffentlichte die „Reformatio“ nicht und suchte (auf Kosten Franz Lamberts und der von ihm propagierten gemeindekirchlichen Elemente) wieder den engeren Schulterschluss mit Kursachsen, ohne dabei die Bindung an Straßburg aufzugeben, die ihn in den folgenden Jahren an die oberdeutsche Reformation heranführen sollte. Die wesentlichen Kernstücke der Reformatio – Gemeine Kästen, Schulen, Universität, Stipendien, Hospitäler –, wurden dennoch umgesetzt, aber Luthers Ratschlag folgend Schritt für Schritt und teilweise erst nach einer Erprobung im lokalen Rahmen (Marburg). Für die neu geschaffenen Einrichtungen entstanden in den folgenden Jahren jeweils einzelne Ordnungen, mit denen die Reformation dann nach und nach jene normative Grundlagen erhielt, die ihr Hand und Fuß, Institutionen und Personal (inklusive auf die neuen Aufgaben hin ausgerichtete „Stellenbeschreibungen“) und damit Profil gaben. Erst mit der „Ziegenhainer Zuchtordnung“ und der „Kasseler Kirchenordnung“ von 1539 wurden die Einzelregelungen wieder in übergreifenden Kirchenordnungen zusammengefasst. Durch Bucers Einfluss erhielten sie auch wieder einige gemeindekirchliche Elemente (Ältestenrat).
Vor der Homberger Versammlung war Landgraf Philipps Haltung zur Reformation aus der Ferne kaum einzuschätzen. Nach seinem Eingreifen in den Bauernkrieg galt er den Wittenbergern als allzu stürmisch und unbesonnen. Auch deshalb mahnte Luther wohl in so überdeutlicher Form zu einem behutsamen Vorgehen. Sowohl die „Reformatio“ als auch seine weiteren Schritte zeigten Philipp aber keineswegs als Hasardeur, sondern als zupackenden und zielstrebigen, dabei aber sehr überlegt handelnden Landesherrn. Insofern markiert das Schreiben und das, was Philipp daraus machte, auch eine Annäherung – zwischen Personen, aber auch zwischen Denksystemen. Denn spätestens mit dem Speyrer Reichstag war die Durchsetzung der Reformation von einer geistlichen Angelegenheit, die ein paar Pfarrer durch Verabredung betreiben konnten, zu einer politischen geworden. Die Um- und Ausgestaltung eines ganzen Territoriums im Sinne der Reformation war aber ohne „einen Haufen Gesetze“ kaum möglich.