Die verschiedenen Schriftstücke zu Thomas Müntzer in Best. 3 des Staatsarchivs Marburg wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts neu geordnet und anschließend zu einem Aktenband zusammengebunden. Reinhard Jordan, der diesen Aktenband 1911 als erster benutzte, machte sich Gedanken über den Weg, den die zahlreichen Originale, die sich darin befinden, nach Hessen genommen haben. Mit guten Gründen legte er dar, dass sie sich allesamt in der Tasche Thomas Müntzers befunden haben müssen, als er nach der Schlacht von Frankenhausen verhaftet wurde, und Landgraf Philipp sie damals mitgenommen hat. Nicht nur der Inhalt, sondern auch die Überlieferung der Dokumente führt also unmittelbar zu Thomas Müntzer hin.
Fünf Tage vor der Schlacht bei Frankenhausen griff Graf Albrecht IV. von Mansfeld (-Vorderort) – Vetter des altgläubig gebliebenen Grafen Ernst II. von Mansfeld (-Hinterort auf Heldrungen), mit dem Thomas Müntzer bereits 1523 in Allstedt in Konflikt geraten war und der später zu seinem besonderen Hassgegner wurde – zur Feder (bzw. ließ einen Schreiber zur Feder greifen, denn der Brief stammt von einem Kanzleischreiber) und mahnte die Aufständischen zu einem friedlichen Ausgleich. Schon formal trägt das Schreiben den veränderten Umständen Rechnung: Da die städtischen Verfassungsinstanzen in Frankenhausen in Auflösung begriffen waren, ist es nicht, wie zu erwarten wäre, an „Schultheiß, Rat und Gemeinde“, sondern aushilfsweise an die Viertelherren (die Aufseher über die Saline), die Gemeinde und die „versammelte Bauernschaft“ adressiert. Der Brief ist ein anschauliches Zeugnis für das Selbstverständnis eines lutherischen Grafen und seinen Blick auf die Bauernaufstände. Zugleich lässt er die zwischen hartem militärischem Durchgreifen und dem Bemühen um Vermeidung unnötiger Gewalt schwankende Haltung der lutherischen Partei erkennbar werden. Das Verhandlungsangebot des Grafen wurde deshalb schon frühzeitig zum Bestandteil der Kontroversen über die Deutungshoheit des Bauernkriegs: Martin Luther selbst ging in seiner noch vor Müntzers Hinrichtung, wohl am 21./22. Mai 1525, in Wittenberg gedruckten und insgesamt elfmal aufgelegten Flugschrift ‚Eine schreckliche Geschichte und ein Gericht Gottes über Thomas Müntzer‘ darauf ein. Und in einem Mitte Juni 1525 gedruckten ‚Dialogus‘ verwies Johann Agricola auf diesen Vorstoß des Grafen, um den Vorwurf zu entkräften, dass die Fürsten mit übermäßiger Brutalität gegen die Bauern vorgegangen seien.
Graf Albrecht von Mansfeld war aber alles andere als ein Pazifist. Wiederum fünf Tage vor der Abfassung des Briefs, am 5. Mai, hatte er mit einer Anzahl von Reitern und Fußknechten eine Gruppe von Aufständischen überfallen, die sich auf dem Weg nach Frankenhausen befanden und bei dem Dorf Groß-Osterhausen (in der Nähe von Eisleben) lagerten. Etwa 70 von ihnen kamen ums Leben, anschließend ließ der Graf das Dorf in Brand stecken. In der Überzeugung, dass man äußerst hart gegen die Aufständischen vorgehen müsse, konnte sich Mansfeld mit Luther einig wissen. Luther hatte sich vom 16. April bis 6. Mai in der Grafschaft Mansfeld – seiner eigenen Heimatregion – aufgehalten und erfolglos gegen den Bauernaufruhr gepredigt. Am 5. Mai war er mit dem gräflichen Rat Johannes Rühel zusammengetroffen, der zur Verwandtschaft der Familie Luther zählte. Von ihm hatte er erfahren, dass die Bauern in Weinsberg Graf Ludwig von Helfenstein auf grausame Weise ermordet hatten. Unter diesen Eindrücken entstanden Luthers scharfen Äußerungen gegen die Bauern: In einem Brief vom 4. Mai ermahnte er Graf Albrecht, nicht weich zu werden und nach göttlichem Befehl „das Schwert zu führen“, denn die Aufständischen seien „allzumal Räuber und Mörder“, sie wollten „Fürsten, Herrn und alles vertreiben, neu Ordnung machen in der Welt, deß sie von Gott weder Gebot, Macht, Recht noch Befehl haben, wie die Herren itzt haben“ [= so wie die Adligen jetzt das Recht dazu haben]. Der Graf konnte sich zu seiner Aktion also regelrecht aufgefordert fühlen. Zur selben Zeit entstand Luthers Flugschrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“. Sie schlug denselben Tenor an, richtete sich aber nicht nur an einen einzelnen, sondern an eine große Öffentlichkeit.
Albrecht von Mansfeld gehörte zu den engen Anhängern Luthers. Auch sein Brief ist unmittelbar von Luthers Obrigkeitsverständis geprägt. Er beginnt ihn mit Gedanken zu den zwei Reichen (sog. „Zwei Reiche-Lehre“), die Luther etwa zur selben Zeit äußerte: Sie unterschieden zwischen einem göttlichen und einem weltlichen Reich und innerhalb dessen wiederum zwischen einem Schwertamt und einem Predigtamt. Mansfeld fasst diese Ausführungen Luthers kurz (und verkürzend) zusammen: Im Reich Gottes gibt es weder Zwietracht noch Aufruhr, auf Erden ist die Obrigkeit von Gott gesetzt. Daraus leitet er, gestützt auf Luthers Paulus-Auslegung, eine einfache Formel ab: „Wer sich der Obrigkeit widersetzt, widersetzt sich der Ordnung Gottes.“ Ein Widerstandsrecht ist nicht vorgesehen. Im Konfliktfall müssen nicht die Obrigkeiten das Blutvergießen rechtfertigen, sondern die, die es herausgefordert haben. Ganz ähnliche Aussagen finden sich in Luthers Bauernrotten-Flugschrift.
Anschließend legt der Graf jedoch, ebenfalls einem Anliegen Luthers folgend, in eindringlicher Weise dar, dass er aus christlicher Haltung heraus ein Blutvergießen unter allen Umständen vermeiden wolle. Der Kernsatz lautet, er hoffe „Gott werde durch seine göttliche Gnade die Obrigkeit zu der Erkenntnis führen, von dem, was sie an Beschwerungen eingeführt hat, wieder abzulassen.“ Aus der göttlichen Ordnung, so der Graf weiter, folge die Pflicht der Untertanen zu Gehorsam, Steuer und Unterstützung, aber auch die Pflicht der Obrigkeit, auf (ungerechte) Beschwerungen zu verzichten. Das Vertrauen des Grafen auf die von Gott gegebene Einsicht der Obrigkeit war zweifellos sehr optimistisch. Die in Frankenhausen Versammelten, bzw. der gemäßigte Teil von ihnen, mochte aber darauf hoffen, in einen Verhandlungsprozess einzutreten und darin der göttlichen Erkenntnis ihrer Herren etwas auf die Sprünge zu helfen. Die Abfolge von (gewaltsamem) Konflikt, Verhandlung und (vielfach sogar vertraglich fixierter) Einigung gehörte zu den gängigen politischen Verfahren bei Herrschaftskonflikten; später sollten die territorialen und vor allem supraterritorialen Gerichte zu einer Verrechtlichung solcher Auseinandersetzung beitragen. Tatsächlich zeichnete sich auch in diesem Fall zunächst eine Verhandlungslösung ab, bevor die Angelegenheit jäh eine Wendung in eine ganz andere Richtung nahm, weil der Brief, wie wir nun schon wissen, in der Tasche Thomas Müntzers landete.
Den weiteren Verlauf der Ereignisse schildert Martin Luther in seiner Müntzer-Flugschrift, für die er sich auf Dokumente stützen konnte, die ihm aus der Mansfelder Kanzlei zugespielt wurden: Nur einen Tag nach der Expedierung von Graf Albrechts Schreiben (das heißt Donnerstag 11. Mai) antwortete der Frankenhäuser Haufen dem Grafen und schlugen ein Treffen für den nächsten Tag (Freitag 12. Mai) an der Brücke über die Helme bei Martinsrieth vor, das etwa auf halbem Weg zwischen Frankenhausen und Mansfeld liegt. Mansfeld verschob den Termin nun noch einmal um zwei weitere Tage auf Sonntag (14. Mai). Die Motive dafür sind nicht abschließend zu klären. Zu diesem Zeitpunkt dürfte er aber bereits auf das Heranrücken des Fürstenheers gehofft haben und spielte deshalb möglicherweise bewusst auf Zeit. Jedenfalls schloss sich mit dieser Verschiebung das Zeitfenster für eine Verhandlungslösung. Denn zwischenzeitlich war Thomas Müntzer in Frankenhausen eingetroffen und hatte die Sache sofort in die eigene Hand genommen. Das lutherische Herrschaftsverständnis des Grafen stieß nun auf das eschatologisch-revolutionäre Müntzers: Verhandlungen im Sinne Graf Albrechts waren für Müntzer in Anbetracht des von ihm erwarteten Endgerichts vollkommen undenkbar. Für ihn gab es nur zwei Lösungen: Bekehrung zu der von Gott erwählten Gemeinschaft christlicher Brüder oder Verdammung mit den Gottlosen. Am 12. Mai formulierte er zwei sehr unterschiedliche Briefe an Ernst und Albrecht von Mansfeld. Beide sind „zur bekerunge geschrieben“ und appellieren an die Grafen, vor der Gemeinde zu erscheinen und ihren Glauben zu bekennen (beide Briefe sind von Luther gedruckt; sie hatten ihre Adressaten also erreicht). Während Müntzer Graf Ernst scharf attackierte, schlug er bei Albrecht einen etwas gemäßigteren Ton an und lud ihn dazu ein, sich wie andere Adlige dem Bündnis anzuschließen. Gleichzeitig ließ er sich auf eine theologische Diskussion ein und rechnete mit Albrechts Auslegung von Vers 13 des Römerbriefs im Sinne Luthers und dem darauf gestützten Obrigkeitsverständnis ab: „Das du die epistel Pauli also ubel misbrauchst, erbarmt mich.“ Der Graf habe, so fährt Müntzer fort, gefangen in seiner „lutherischen grütz“, seiner „Wittembergischen suppen“, seinem „Martinischen baurendreck“, die falschen Bibelstellen gelesen. Anhand der von ihm gerne bemühten apokalyptischen Bibelverse aus dem Buch Daniel legte Müntzer dar, dass Gott nun die Gewalt an die Gemeinde gegeben habe, um die Fürsten zu stürzen. Albrecht sollte sich also von seinen lutherischen Ansichten lösen und als einfacher Bruder der Gemeinde beitreten. „Wo aber nicht, werden wyr uns an deyne lame, schale fratzen nichts keren und widder dich fechten wie widder eynen ertzfeynd des Christenglaubens“. Ein solches Angebot musste dem Grafen inhaltlich wie formal als Beleidigung erscheinen und war für ihn unannehmbar, zumal Müntzer damit die eigene militärische Lage vollkommen verkannte.
Die weiteren Schicksale Müntzers und des Schreibens sind nun schon bekannt: Trotz mehrfacher Aufforderungen lehnten die Aufrührer eine Kapitulation unter Auslieferung ihrer Anführer ab. Am 15. Mai kam es daraufhin zur Schlacht bei Frankenhausen. Müntzer wurde noch am Tag der Schlacht festgesetzt; seine Tasche mit denjenigen Briefen, die er an sich genommen hatte, gelangte in die Verfügungsgewalt Landgraf Philipps, der sie mit sich nach Hessen nahm. Zwischenzeitlich war es zu dem von Graf Albrecht befürchteten, immensen Blutvergießen gekommen: Mehr als 5.000 „Bauern“ hatten bei Frankenhausen ihr Leben gelassen.