Der vorliegende Brief ist nur in zwei Kopien im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden und im Staatsarchiv Marburg überliefert. Sie dürften beide zwischen dem 22. und 25. Mai im Lager bei Schlotheim von einem heute verlorenen Original abgeschrieben worden sein, das von den siegreichen Fürsten nach der Schlacht bei Frankenhausen am 15. Mai 1525 sichergestellt worden war. Es handelt sich also um Schriftstücke, die die Sieger untereinander austauschten, um den Aufstand um Müntzer zu verstehen und Mitwisser aufzudecken (der Name des Dresdner Bestandes: „Peinliche Urgichten“, das heißt unter Folter abgegebene Geständnisse, spricht für sich). Das Schriftbild und – wie kleinere Abweichungen zeigen – der Lautstand des Schreibens führen daher nicht zu Müntzer hin, der Inhalt ermöglicht dagegen einen recht zuverlässigen Einblick in seine Gedankenwelt und Selbststilisierung.
Das Schreiben, das hier nach der Marburger Abschrift wiedergegeben wird, ist in Mühlhausen kurz vor der Entscheidungsschlacht verfasst. Müntzer war eben vom Eichsfeld zurückgekehrt, drei Tage später, am 12. Mai, sollte er in Frankenhausen eintreffen und seine Anhänger auf die kriegerische Auseinandersetzung einschwören. Das verlorene Original muss in Eile und in großem Zorn verfasst worden sein, denn viele Sätze sind nur anformuliert und gegen Ende steht eine sinnentstellende Verschreibung, mit der die Metapher vom rechten und vom schlechten Licht durchkreuzt wird. Was war geschehen? Bei Eisenach lagerte der Bauernhaufen aus Schmalkalden auf einem nahezu verlorenen Vorposten, um sich den von Westen heranrückenden Truppen Landgraf Philipps des Großmütigen entgegenzustellen. Ihre Bitte um Zuzug hatte Müntzer zwei Tage zuvor ausweichend beantworten müssen. Nun erreichte ihn die Nachricht vom Seitenwechsel der Stadt Eisenach: Als die Bauern vor Eisenach zogen, verweigerte ihnen der Schultheiß den Zutritt zur Stadt und wollte nur den Hauptmann Hans Sippel und seine Räte empfangen. Anstatt mit ihnen zu verhandeln, ließ er sie aber ins Gefängnis legen, nachdem sie die Stadt betreten hatten. Unter den nun führunglosen Bauern wurde das Gerücht vom Herannahen des Landgrafen verbreitet, woraufhin sie sich zerstreuten. Am 10./11. Mai wurden Sippel und seine Gefährten durch Gesandte Kurfürst Johann von Sachsens verhört und anschließend mit dem Schwert hingerichtet: Einen Schilling 45 Groschen erhielt der Eisenacher Scharfrichter am 11. Mai dafür als Lohn, wie die Eisenacher Amtsrechnung festhält. Von dieser letzten Zuspitzung konnte Müntzer noch nichts wissen, als der am 9. Mai den Brief verfasste. Er bezog sich darin lediglich auf die Verhaftung und versuchte, die Eisenacher noch einmal auf seine Seite zu ziehen. Deshalb redet er ihnen hart ins Gewissen, wirft ihnen Hinterlist und Heuchelei vor, appelliert an die Solidarität („Brüder“), stellt sie vor die Entscheidungsfrage, ob sie auf der Seite der Richtigen oder Falschen stehen wollten, und droht unverhohlen mit Gewalt. Noch war das Tischtuch aber nicht zerschnitten, noch spricht Müntzer in sprichworthafter Verkürzung von „unnser aller schade“ und „unnser aller furderung“. Die Eisenacher sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Handlung zu überdenken und rückgängig zu machen.
Zugleich rechnete Müntzer mit den lutherischen Prädikanten ab, vielleicht mit Blick auf den in Eisenach wirkenden Prediger Jakob Strauß, der in seiner Haltung zu der Bauernrevolte ambivalent blieb. Er spitzte seinen Brief deshalb auf das Gegenüber der richtigen und falschen Propheten, der richtigen und falschen Lehre zu und entwarf einen großen theologischen Rahmen für die Geschehnisse: Gott selbst habe die Erkenntnis der Wahrheit so weit vorangebracht, dass die Gewalt auf das gemeinen Volk übergegangen ist, das dafür sorgen soll, dass sich die Welt zu Christus bekehrt. Die Verteidiger der falschen Lehre, das heißt die Lutheraner, werden nicht mehr nur mit dem Wort, in der theologischen Kontroverse, überwunden, sondern in der Tat, mit Gewalt, niedergeworfen. Bezeichnenderweise beruft er sich dafür auf das alttestamentliche Buch Daniel und die Offenbarung. Aus dem neuen Testament zieht er Jesu Warnung davor heran, dem Mammon zu dienen, und die im Gleichnis vom Sämann ausgesprochene Mahnung, dass das Gotteswort dort nicht aufgehen könne, wo der Mensch in der Sorge um weltliche Güter gefangen ist. Er verknüpft dies mit der Frage, wie der Gemeine Mann das Wort Gottes aufnehmen könne, wenn er zum Opfer der Gier der Besitzenden wird. Die „widdersacher“, die über solchen Reichtum verfügten, hätten der Erlösung der Welt von Anfang an im Wege gestanden. Müntzer ruft nun offen dazu auf, sie zu „peynnigenn“, wenngleich mit der nicht unwichtigen Einschränkung: „allein am gueth“! Eindringlich warnt er vor den falschen „Dienern des Worts“ und dem „falschen Licht“, also den Eisenacher Prädikanten. Müntzer sah die heilsgeschichtliche notwendige, in der Bibel angekündigte Stunde der Vertilgung der Gottlosen gekommen. Jetzt auf Vermittlung zu setzen, bedeutete die Lage zu verkennen. Was Müntzer verkannte, war die militärische Lage. Nur zwei Tage nach seinem Schreiben wurde der bei Eisenach lagernde, seines Hauptmanns beraubte Haufen von Landgraf Philipp aufgerieben.
Müntzers Radikalisierung in den Jahren 1524/25 lässt sich auch an einzelnen sprachlichen Wendungen festmachen. Mit der sogenannten Allstedter Fürstenpredigt am 13. Juli 1524 hatte er noch gehofft, Herzog Johann von Sachsen für sein Vorhaben zu gewinnen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs entschloss er sich, seine Anliegen gegen die Fürsten durchzusetzen. Seither findet sich bei ihm häufiger der Bezug auf Lukas 1, 52: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen“. Hier werden sie zusätzlich als Narren bezeichnet, und abermals wird auf die Überwindung der falschen Schriftgelehrten hingewiesen. Seit derselben Zeit sprach Müntzer von den Fürsten als „gottlosen Tyrannen“. In den Wochen, in denen der Aufstand Erfolg zu haben schien und sich ihm einzelne Fürsten anschlossen, gab die Unterscheidung zwischen den „gottlosen Tyrannen“, zu denen er insbesondere Graf Ernst von Mansfeld zählte, und den „christlichen Regenten“ den Maßstab für seine Beurteilungen ab. Auch mit der Unterschrift „Thomas Müntzer mit dem Schwert Gideons“ ordnete Müntzer seine Rolle in einen heilsgeschichtlichen Kontext ein: Gideon hatte nach dem Buch der Richter den Altar des Baalskultes zerstört und die Israeliten mit nur 300 Mann von der Unterdrückung der Midianiter befreit. Vor dieser Schlacht wurde ein Traumbild von einem Gerstenbrot auf das Schwert, also den Sieg, Gideons gedeutet, und während der Schlacht lautete der Schlachtruf der Israeliten: „Hier ist das Schwert des Herrn und Gideons!“ Die Berufung auf das „Schwert Gideons“ bedeutete also den Anspruch darauf, Waffengewalt in Gottes Namen auszuüben. Die Darstellung vom Sieg Gideons folgt dem alttestamentlichen Erzählschema, nach dem ein kleiner Haufen Auserwählter die Übermacht gottloser Feinde überwindet. Müntzer hatte in einer Kontroversschrift von 1524 („Ausgedrückte Entblössung“) auf diese Episode hingewiesen. Ganz offenkundig war er überzeugt davon, mit göttlicher Hilfe ein ähnliches Wunder in der eigenen Gegenwart vollbringen zu können. Ebenfalls angelegt ist in dem Brief der Vorwurf vom „Eigennutz“, der zur Bedrohung für die Bewegung wird. Er gehört in einen größeren zeitgenössischen Diskurs über den Gemeinen Nutzen und Eigennutzen. Bei Müntzer sollte er acht Tage später, in dem nach Verhör und Folter im Lager von Heldrungen diktierten Abschiedsbrief an die Mühlhäuser wiederkehren, nunmehr als Erklärung für die Niederlage bei Frankenberg – nachdem der verblendete Prediger mehr als 4.000 seiner Anhänger in den sicheren Tod geführt hatte, ohne eine Kapitulation überhaupt nur in Erwägung zu ziehen.