Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Ii 133 [Schreiben des Visitators Strauß vom 15. Januar 1525].
Nachweis früherer Editionen:
Reiner Groß/Manfred Kobuch/Ernst Müller (Red.), Martin Luther 1483-1546. Dokumente seines Lebens und Wirkens. Weimar 1983, Nr. 142, S. 364 [mit einer kleineren Auslassung].
Rudolf Herrmann, Die Kirchenvisitationen im Ernestinischen Thüringen vor 1528, in: Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte 1, 1929-1931, S. 167-230, hier S. 169-170.
Literature:
C[arl] A[ugust] H[ugo] Burkhardt, Geschichte der sächsischen Kirchen- und Schulvisitationen von 1524 bis 1545. Leipzig 1879, S. 4.
Rudolf Herrmann, Die Kirchenvisitationen im Ernestinischen Thüringen vor 1528, in: Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte 1, 1929-1931, S. 167-230, hier S. 167-179.
Gustav Lebrecht Schmidt, Justus Menius, der Reformator Thüringens. 1. Bd. Gotha 1867, S. 88-89.
Emil Sehling (Hrsg.), Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. 1. Bd.: Sachsen und Thüringen, nebst angrenzenden Gebieten. 1. Hälfte: Die Ordnungen Luthers. Die ernestinischen und albertinischen Gebiete. Leipzig 1902, S. 33-34.
Note:
S. zum Ausstellungsort: Reiner Groß/Manfred Kobuch/Ernst Müller (Red.), Martin Luther 1483-1546. Dokumente seines Lebens und Wirkens. Weimar 1983, Nr. 142, S. 192.
Englische Übersetzung: Claudia Jones.
Historical Placement:
Erste kirchliche Visitationen lassen sich bereits weit vor der Reformationszeit nachweisen. Bei diesen handelte es sich um Besuche kirchlicher Amtsträger in den Gemeinden oder geistlichen Einrichtungen, die deren Aufsicht unterstanden. Der Zweck dieser Visitationsreisen bestand in der Überprüfung der jeweiligen kirchlichen Verhältnisse direkt vor Ort. In Augenschein genommen wurden beispielsweise die Amtsausübung der Geistlichen sowie die finanzielle und materielle Ausstattung der Kirchen. Schon im 4. Jahrhundert wurden solche Kontrollbesuche zu einer festen, geordneten Einrichtung der bischöflichen Gewalt. Bis ins ausgehende Mittelalter verlor die Institution der Visitation jedoch zunehmend an Bedeutung.
Im 16. Jahrhundert erfuhr das Visitationswesen im Zuge der Reformation und der sich anschließenden Zeit der Verfestigung der verschiedenen christlichen Bekenntnisse schließlich eine erneute Entfaltung, wobei sowohl die Evangelischen, die Reformierten als auch die Altgläubigen das Instrument der Visitation nutzten. Hierbei war es ein wichtiges Merkmal der evangelischen und reformierten Visitationen, dass der jeweilige Landesherr den Auftrag für diese nun selbst erteilte. Das Abhalten von Visitationen ermöglichte es der Obrigkeit, über die durch sie beauftragten Visitatoren Einblick in die kirchlichen Zustände in den einzelnen Gemeinden ihres Herrschaftsgebiets zu nehmen, also zum Beispiel die Amts- und Lebensführung der Pfarrer und Prediger oder das sittliche Verhalten und die religiösen Kenntnisse der Gemeindemitglieder zu überprüfen. Ausgehend von den jeweiligen Befunden konnten dann gezielte Einzelfallregelungen getroffen werden. So ließen sich während einer Visitation beispielsweise ungeeignete Geistliche ermitteln und im Anschluss durch passendere Personen ersetzen. Aber auch allgemeine kirchliche Verordnungen wurden im Zuge von Visitationen erlassen und deren Einhaltung bei nachfolgenden Visitationen überprüft. Gleichzeitig boten die Visitationen eine Möglichkeit, das Kirchenwesen in den jeweiligen Herrschaftsgebieten neu zu organisieren. So konnten die Visitatoren auf der Grundlage der vor Ort eingeholten Informationen zum Beispiel über eine bedarfsorientierte Zusammenlegung einzelner Gemeinden die seelsorgerische Betreuung und die Finanzierung der Pfarreien neu regeln. Insofern ist den nachreformatorischen Visitationen auch eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung und der Festigung der reformatorischen Lehre und bei der Neustrukturierung des Kirchenwesens in den protestantischen Territorien zuzuschreiben.
Beim Aufbau eines solchen nachreformatorischen Visitationswesens darf Kursachsen als Vorreiter gelten. Bereits 1525 wurden hier erste Visitationsversuche unternommen. 1528 erschien hier zudem Philipp Melanchthons „Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherren im Kurfürstentum Sachsen“ mit einem Vorwort Martin Luthers. Diese Schrift wurde zur Grundlage für die weitere kursächsische Visitationstätigkeit und darüber hinaus auch von anderen protestantischen Obrigkeiten herangezogen.
Als erster kursächsischer Visitator trat der Prediger Jakob Strauß in Erscheinung. Dieser visitierte im Januar 1525 im Eisenacher Gebiet und hatte – wie aus einem Schreiben des Visitators vom 15. Januar 1525 hervorgeht – die Aufgabe, sowohl die Prediger als auch die Gemeindemitglieder zu überprüfen. Unterstützt wurde er dabei vom herzoglichen Rat Burkhard Hund. Etwa zwei Monate später erhielt Strauß schließlich den herzoglichen Auftrag, die Ämter Wartburg, Hausbreitenbach, Salzungen, Creuzburg und Gerstungen zu visitieren. Dies bezeugt der Befehl Herzog Johanns an die Amtleute, Schultheißen, Bürgermeister, Prediger, Gemeindevorsteher und Gemeinden vom 17. März 1525. Die weltlichen Amtspersonen wurden mittels dieser Verfügung zur Unterstützung des Visitators bei dessen Tätigkeit angewiesen. Da Strauß in seinem Schreiben vom 15. Januar auf Widerstände unter den Adligen und Amtleuten gegen die ersten Visitationshandlungen hingewiesen hatte, lässt sich diese Aufforderung womöglich als eine Reaktion auf die im Januar gemachten Visitationserfahrungen verstehen. Genauer benannt wird in der herzoglichen Visitationsankündigung auch die Zielsetzung der angeordneten Visitation: Insbesondere die Prediger und die durch sie verbreiteten Lehren sollten bei den Überprüfungen im Mittelpunkt stehen. Begründend wird hierfür angeführt, dass es an einigen Orten „falsche Prediger“ gebe, die in den Gemeinden „falsche Lehren“ verbreiteten. Die Visitation hatte also augenscheinlich vor allem das Auffinden von Vertretern abweichender Glaubensgrundsätze zum Ziel. Strauß‘ Visitationstätigkeit dürfte folglich insbesondere die Überprüfung der Geistlichen und die Empfehlung der Neubesetzung von Pfarr- und Predigerstellen umfasst haben. Anzumerken ist, dass im Raum um Eisenach tatsächlich einzelne Prediger wirkten, die später wegen ihrer Verbindungen zum radikalen Reformator Thomas Müntzer und zum Bauernkrieg bekannt werden sollten.
Translation:
Duke Johann of Saxony commissions a church visitation in the districts of Wartburg, Hausbreitenbach, Salzungen, Creuzburg, and Gerstungen under his rule and appoints Eisenach preacher Dr. Jakob Strauß apostolic visitor, [Weimar], March 17, 1525
Evidence of the first ecclesiastical visitations goes back to long before the Reformation. These were visits of church officials to the communities or religious institutions under their supervision. The purpose of these visitations was to review the respective ecclesiastical affairs on the spot. Factors that were assessed included, for example, the way in which the clergy exercised their offices and the financial and material resources of the churches. As early as the 4th century, such inspections became a fixed, ordered institution of episcopal authority. However, the practice of visitation grew progressively less important until the late Middle Ages.
In the 16th century, the practice of visitation ultimately flourished once more in the course of the Reformation and the subsequent period of consolidation of the various Christian denominations, with the Protestant, Reformed, and the Roman Catholic churches all employing it as an instrument. An important feature of Protestant and Reformed church visitations was that the respective sovereign himself now gave the order. Visitations allowed the authorities to gain an insight into the state of the churches in the individual parishes of their dominion through the apostolic visitors appointed, i.e. to check how pastors and preachers conducted their work, their lifestyles, and the moral conduct and religious knowledge of their parishioners. Specific arrangements could then be made based on the respective findings. This allowed unsuitable members of the clergy to be identified during a visitation and later replaced with more appropriate successors. However, general ecclesiastical ordinances were also passed in the course of visitations and their observance checked during subsequent visitations. At the same time, visitations offered a way to reorganize the churches in the respective dominions. Visitors were able to review pastoral care and parochial financing on the basis of the information gathered on the ground, for example through amalgamating individual parishes where required. In this respect, an important role must be attributed to post-Reformation visitations in enforcing and strengthening the teachings of the Reformation and restructuring churches in the Protestant territories.
Electoral Saxony may be considered a pioneer in the development of such a post-Reformation visitation system. The first visitation attempts here were made as early as 1525. In 1528, Philipp Melanchthon’s “Instructions for the Visitors of Parish Pastors in Electoral Saxony” were published here with a preface by Martin Luther. This tract became the basis for further electoral Saxonian visitation activities and was also used by other Protestant authorities.
The preacher Jakob Strauß was the first electoral Saxonian apostolic visitor. He visited the Eisenach area in January 1525 and was – as is evident from a letter written by the visitor dated January 15, 1525 – responsible for examining both the preachers and the congregation. He was supported by the ducal councilman Burkhard Hund. About two months later, Strauß received the ducal order to visit the districts of Wartburg, Hausbreitenbach, Salzungen, Creuzburg, and Gerstungen. This is documented in the order issued by Duke Johann to the officials, village mayors, mayors, preachers, community leaders, and parishes on March 17, 1525. This order instructed the secular officials to support the apostolic visitor in his activities. Since Strauß had referred to resistance among the nobles and officials to the first visitations in his letter dated January 15, this request can perhaps be understood as a reaction to the events surrounding the visitation in January. The announcement of the impending ducal visitation also describes the objective of the visitation ordered in more detail: The focus was to be on the preachers and the doctrines propagated by them in particular. The reason given for this was that “false preachers” were at work in some places, spreading “false teachings” in the various parishes. Thus, the visitation was evidently aimed mainly at identifying representatives of divergent religious principles. Consequently, Strauß’ visitation most likely included in particular a review of the clergy and recommendations for restaffing pastorates and preacher positions. It should be noted that a number of individual preachers who worked in the area around Eisenach were later found to have had connections to the radical reformer Thomas Müntzer and the Peasants’ War.