Weimarische Zeitung, Nr. 41, 22.05.1852, S. 439: „[…] Clavigo. Die schöne Müllerin. Hr. Grans vom ständischen Theater in Prag, Clavigo, Jean, als Gast. - Der Eintritt einer fremden Persönlichkeit in die Thätigkeit eines Kunstinstituts ist nothwendig mit mancherlei Störungen und Unannehmlichkeiten verbunden, die dem guten Geschmacke nicht gleichgültig sein können. Aus diesem Grunde ist man befugt, bei Gastspielen nach deren Berechtigung zu fragen, wenn auch nicht schon der besondere Aufwand, mit dem sie verbunden zu sein pflegen, der Leitung einer öffentlichen Anstalt gegenüber, deren Geldmittel verhältnißmäßig nur beschränkt sind, hierauf einen Anspruch begründete. Dreierlei Ursachen lassen sich denken, aus denen ein Gastspiel veranstaltet werden mag. Zuvörderst nämlich, wenn ein Fach an einer Bühne gar nicht oder im höchsten Grade ungenügend besetzt ist, so daß die Vorführung mancher Werke nur durch fremde Mithülfe bewirkt werden kann. Sodann, wenn die Persönlichkeit eines Künstlers eine solche ist, daß das Publikum an ihr, ganz abgesehen von der Umgebung, in welcher sie wirkt, ein wohlbegründetes Interesse nimmt, wie dieß bei Künstlern ersten Ranges oder da eintritt, wo ein früheres altherbekanntes und beliebtes Mitglied der Bühne die guten Zeiten in Erinnerung bringt, wo es uns noch angehörte. Endlich, wo es sich um Neubesetzung einer erledigten Stelle handelt. Für Herrn Grans paßt weder der erste noch der zweite Fall, denn die Rollen, welche er spielt, können sehr wohl von Mitgliedern der hiesigen Bühne übernommen werden, und so anerkennenswerth seine Leistungen sein mögen, so sind sie doch von jenen genialischen Conceptionen, die uns unwillkürlich mit sich fortreißen, weit entfernt. Wir können also nur annehmen, daß die Intendanz Hr. [sic] Grans zu engagiren beabsichtigt. Von diesem Standpunkte ausgehend, wollen wir gern zugestehen, daß sich ein angemessener Wirkungskreis für den Gast an unserer Bühne wohl finden ließe, allein wir müssen bekennen, daß uns der Luxus, der in diesem Engagement läge, erst dann wohl angebracht schiene, wenn erst so manche andere, weit empfindlichere Lücke in unserem Theaterpersonal ausgefüllt wäre. – Was die Gesammtdarstellung des Clavigo betrifft, so ist begreiflicher Weise hier nicht der Ort, ins Einzelne einzugehen. Der Clavigo gehört, Dank sei es der geringen Zahl der darin beschäftigten Personen, zu denjenigen Stücken unserer großen Meister, deren Aufführung am leichtesten vor verletzenden Lächerlichkeiten zu bewahren ist, die aber aus dem gleichen Grunde mit am schwersten zu vollkommen befriedigender Geltung zu bringen sind. Dieß bewährte sich auch bei der Vorstellung, die wir heute besprechen. Ohne gerade grell zu stören, vermochte doch keiner der Mitwirkenden ein vollkommenes Bild der darzustellenden Persönlichkeiten zu geben, sei es, daß die Betreffenden ein widerstrebendes Naturell nicht zu besiegen im Stande waren, sei es, daß die Darstellung der Energie und des Adels entbehrte, sei es, daß sie derselben eine mehr oder minder falsche Auffassung zu Grunde legten. Von einem Zusammenspiele, das die feine Oekonomie die [sic] Tragödie zur Geltung gebracht hätte, war mit ein Paar seltenen Ausnahmen nicht die Rede. Aber so groß ist die Macht des Stückes, daß trotz dieser Mängel der Darstellung der ergreifende Gesammteindruck nicht ausblieb. Leider wurde derselbe durch die nachfolgende Comödie wieder vollkommen paralysirt. Diese saloppe lüderliche Arbeit gehört überhaupt nicht auf ein Theater, das darauf Anspruch macht, ein Kunstinstitut zu sein, am allerwenigsten aber darf sie nach einem Stücke wie Clavigo vorgeführt werden, wo sie jeden Eindruck verwischen muß, und man darf sich billig wundern, wie die Leitung unseres Theaters sich eines solchen Mangels an Pietät gegen unsern großen Dichter hat schuldig machen können.“