Weimarische Zeitung, Nr. 11, 13.01.1854, S. 43: „[…] für eine Tragödie hätten wir eine größere Theilnahme des Publikums beansprucht, denn gerade so würdige Darstellungen sind dazu geeignet, den Zustand der dramatischen Geschmacklosigkeit zu erhellen. Wir sahen den Hamlet in einheitlicher Gestaltung vorgeführt, die unbedingt von der Energie eines echt künstlerischen Waltens ein beredtes Zeugniß ablegte. Es schien, als ob die reproducirenden Kräfte mit dem Originalgenie des Dichters in einen geistigen Rapport gebracht wären, denn fast jeder Einzelne lieh seine speciellen Fähigkeiten dem Ganzen her, dessen Veranschaulichung eben dadurch einen Respekt gebietenden Totaleindruck auf den gebildeten Zuschauer ausübte, um so mehr, als die Direktion die Ehrfurcht vor dem großen Werke dadurch an den Tag gelegt hatte, daß sie uns dasselbe in weit vollständigerer Form vorführte, als wir es bisher auf irgend einer Bühne gesehen. Zu diesen Vorzügen die Einfachheit der scenischen Anordnungen, die natürliche Haltung der Darstellenden, das Vermeiden aller Gespreiztheit der Rede, die sich bei classischen Tragödien am häufigsten auf dem Theater geltend macht, die Präcision, die selbst in den kleinsten Rollen zum Vorschein kam, und die Vorstellung war eine so abgerundete, wie wir sie uns nur wünschen dürfen; freilich abstrahiren wir dabei von dem Fortinbras des Herren Streit, der eine so auffallende Gedächtnißschwäche oder eine so tadelnswerthe Zerstreutheit bekundete, daß wir anfragen, ob nicht irgendein tüchtiger Chorist vorhanden, der das tragische Schlußmoment des Trauerspiels vor Lächerlichkeit zu schützen vermag? Wir haben während der ganzen Vorstellung jeden der Mitspielenden verfolgt und nirgends einen Mangel an Aufmerksamkeit wahrgenommen. Die Exposition, durch die Herren Koch und Schmeißer eingeleitet, war höchst achtsam, Herr Türkheim sprach mit gemessener Würde, und wenn wir dem Horatio des Herrn Pätsch auch gleich vom ersten Auftreten an mehr Wärme gewünscht hätten, so war er doch exact, wie es sich gebührt; auch der Geist des Herrn Höfer war im passenden Ton gehalten, genug, die Eindrücke des Anfangs verfolgten uns bis zum Ende, und hier allein riß uns eine Dissonanz aus dem Befriedigtsein heraus. Gehen wir nun zu den Hauptdarstellern über. Herrn Siedler gebührt das Lob, seine Aufgabe nicht nur mit Klarheit und Verständniß, sondern auch mit einer Art künstlerischer Weihe gelöst zu haben, weßhalb es ihm nicht fehlen konnte, daß man ihn ehrend auszeichnete; irren wir nicht, so soll der junge Künstler diese Rolle zum ersten Male gespielt haben, was uns zu dem Auspruch bestimmt: er werde nach Jahren der mühevollen Aufgabe gewiß so Meister sein, daß er sich den ersten Hamlet-Darstellern anreihen dürfe. Ophelia fand in Frl. Döllinger eine liebenswürdige Vertreterin; vermochte sie auch nicht, die geistige Bedeutsamkeit dieses sinnigen Charakters hervorzuheben, so war doch in einzelnen Momenten manches Schöne; ein unverkennbarer Fortschritt ist nicht hinwegzuleugnen. Herr Wolkowa als König präsentirte sich uns auf das Angenehmste; er traf den pathetischen Ton der phrasentönenden Beredtsamkeit sehr gut, und seine verständnißvolle Aufffassung brachte ihn über die Schwierigkeiten der undankbaren Rolle leicht hinweg. Der Königin der Frau Stör zollen wir unser Lob, indem wir besonders des ausdrucksvollen stummen Spiels in der Unterredung mit Hamlet gedenken. Der Laertes ward von Herrn Grans wacker gegeben; schade daß er sich in den Ausbrüchen der Leidenschaft stets übernimmt; weniger Anstrengung würde mehr wirken. Erwähnen wir des Polonius des Herrn Marr, der uns den in Hofsitte ergrauten Hofmann mit feinster Delikatesse vorführte und das komische Element nicht mehr hervorhob als es der Dichter gewollt. Schärfer gemalt, und es wäre jener alberne Geck daraus geworden, wie man ihn gemeinhin auf dem Theater zu sehen bekommt. Wie immer, so bewährte sich auch in dieser Rolle der ästhetische Takt des Künstlers. Die vortreffliche Vorstellung des Hamlet drängt uns den Wunsch auf, daß unser Repertoire öfter durch solche classische Gebilde gehoben werde, und da wir hörten, man treffe schon Vorbereitungen dazu, so versprechen wir uns manchen gediegenen Genuß.“