Diese Webseite verwendet Cookies (Webanalysedienst: Matomo, sowie Sessioncookies). Mit der Nutzung der Seite erklären Sie sich mit der Verwendung dieser Cookies einverstanden. Einzelheiten entnehmen Sie bitte den Datenschutz.
Weimar. / Großherzogl. Hof-Theater. / Donnerstag den 12. September 1872. / 3te Vorstellung im Jahres=Abonnement. / Viel Lärm um Nichts. / Lustspiel in vier Aufzügen von Shakspeare, muthmaßlich 1599-1600 verfaßt; / nach der Uebersetzung und Einrichtung von K. von Holtei.
Datum:
Donnerstag, 12. Sept. 1872
Datum (zeitliche Klassifikation):
1870-1875
Aufführungsort:
Weimar, Hoftheater
Reihenfolge:
1
Aktanzahl (laut Quelle):
4
Rezension:
Weimarische Zeitung, Nr. 219, 18.09.1872, S. 2f.: „Unsre Schauspielvorstellungen haben unter dem günstigen Gestirn eines auftauchenden Liebhabers begonnen, welcher der bittern Noth ein glückliches Ende zu machen verspricht. Was wir bis jetzt von Herrn Lesser sahen, gefiel uns sehr, denn es ist Auffassung und Gestaltungskraft mannigfaltiger Art darin; dabei verfügt er über vortheilhafte äußere Mittel und bewegt sich auf der Bühne mit vollkommenster Routine. Sein Benedikt in „Viel Lärm um Nichts“ war uns zwar in der Auffassung nicht ganz sympathisch, es fehlte ihm der markige, heldenhafte Zug, welcher ihn etwas derber und weniger empfindlich gegen die Angriffe Beatricens kennzeichnen sollte, indeß war die Auffassung durchaus konsequent durchgeführt und ihr durch eine seltene Nüancirung Wirkung verliehen, die doch nirgend nach Effekt haschte. Noch weit mehr gefiel uns der „Graf Waldemar“ des Herrn Lesser. Der natürliche und feine Ton des Konversationsstückes wurde hier ebenso konsequent festgehalten, wie im Benedikt die scharf pointirte Drastik des Shakespear’schen Humors. Dazwischen aber waren die ernsten Scenen in einer tiefergreifenden Empfindung dargestellt, wie überhaupt, trotz des schlichten Konversationstons, nirgends Lebendigkeit und Wärme zu vermissen waren. Alles in Allem scheint uns Herr Lesser noch zu den seltenen Schauspielern zu gehören, welche erst ihre Aufgabe künstlerisch durchdringen, ehe sie auf die äußere Wirkung hinarbeiten und daraus ergiebt sich die wohlthuende Unmittelbarkeit und Wahrheit des Eindrucks. Mit Spannung erwarten wir die Leistungen des Künstlers in der Tragödie, wozu seine äußeren Mittel ihm alle Anwartschaft geben, denn auch das Organ scheint uns kräftig und klangvoll; es wurde nur bisher durch befremdliches Aussprechen einiger Laute hie und da beeinträchtigt. Namentlich gebraucht Herr Lesser ein A von so heller Färbung, daß es fast zum Ae wird und den Ton hierdurch ungemein verflacht; ebenso beeinträchtigen manche hart gesprochene Konsonanten den vorhergehenden Vokal. Uebrigens sind dies noch flüchtige Beobachtungen, da sie sich nur auf den leichten und wechselnden Anschlag des Konversationstones gründen, und erst nach größern rhetorischen Proben darf man sich über Derartiges ein sicheres Urtheil erlauben. Die beiden Vorstellungen bewahrten von früher schon ein gutes künstlerisches Lob, welches sie auch diesmal reichlich verdienten. Herr Lesser wurde vom Publikum zu großen Theil mit lebhaftem Beifall aufgenommen, um so mehr mußte ihn wohl die Rücksichtslosigkeit verwundern, welche den Schluß des Freitag’schen Stückes störte. In jeder Erziehungsmethode wird „ausreden lassen“ als ein Gebot der Höflichkeit anempfohlen; trotzdem machte sich häufig gegen den Schluß des Stückes eine Bewegung im Publikum bemerkbar, welche anzeigt, daß, sobald sich die Leute auf der Bühne „gekriegt haben“ Mantel und Kapuze das vorherrschende Interesse in Anspruch nehmen. Selten aber geht die Rücksichtslosigkeit so weit wie an jenem Abend, wo von den sichtbarsten Plätzen aus Damen hinausstürzten, als ob das Gedränge des Berliner Zapfenstreichs zu fürchten wäre. Ob Herr Lesser dieses Stückchen Civilisation den Völkern im Osten wohl verpflanzen möchte?“