Weimar. / Großherzogl. Hof-Theater. / Sonntag den 13. April 1873. / 116te Vorstellung im Jahres=Abonnement. / Hamlet, / Prinz von Dänemark. / Trauerspiel in fünf Aufzügen von Shakspeare, übersetzt von Schlegel.
date:
Sunday, 13. Apr 1873
date (classification in time):
1870-1875
performance site:
Weimar, Hoftheater
order:
1
number of acts:
5
review:
Weimarische Zeitung, Nr. 93, 22.04.1873, S. 2: „Das Gastspiel des Herrn Otto Devrient […] nimmt das Interesse so hervorragend in Anspruch, daß wir unsere lange Geduld eines Referates über die Leistungen unserer Bühne beim letzten Ende fassen und mit der Besprechung des ‚Hamlet‘ zu tilgen beginnen. Herr Devrient verfügt […] über ein wohlklingendes, wenngleich nicht heldenhaft starkes Organ, ebenso über eine ausdrucksvolle, doch nicht imposante Persönlichkeit. Aber es erweist sich schon hierbei, wie weit Intelligenz und künstlerische Befähigung selbst über solche Aeußerlichkeiten Herr werden können; das Organ ist so trefflich geschult, daß man in seinem Gebrauch keine Modulation, keinen Kontrast von Weichheit und Kraft zu vermissen hat. Ebenso beherrscht der Künstler seine Persönlichkeit nicht nur mit vollkommener Gewalt, sondern erreicht mit ihr einen seltenen Grad von künstlerischer Mimik und Plastik. Was aber Herrn Devrients Darstellungen die hervorragende Bedeutung giebt, ist die Macht der durchgeistigten Auffassung, die logische Konsequenz, mit welcher er den Charakter durchführt, ihn in seiner feinsten Nuancirung ausarbeitet und doch nirgends durch Künstelei den reinen Eindruck des künstlerischen Gebildes trübt. Wir haben es hier offenbar mit einem Schauspieler zu thun, welcher noch die idealen Ziele der Kunst erstrebt, sich denselben unbedingt hingiebt und Wahrheit und Schönheit als die wichtigsten Faktoren der Darstellung betrachtet. Wie selten dies zwischen dem ausgespitzten Virtuosenthum unserer Zeit anzutreffen ist, braucht kaum hervorgehoben zu werden, wenn es aber in einer Aufgabe wie ‚Hamlet‘ so einleuchtend und erschöpfend zu Tage tritt, so kennzeichnet es neben diesem idealen Streben eine so hervorragende geistige Fähigkeit, daß man erwarten darf, der Künstler werde in jeder seiner Darstellungen ebenso durch interessante Auffassung, wie fertiges künstlerisches Gepräge zu fesseln wissen. Das Publikum nahm den Gast mit dem wärmsten Beifalle auf, der sich, gemäß der gleichmäßig durchbildeten Darstellung, von Anfang bis Ende auf derselben Höhe hielt. Die übrige Vorstellung war, außer einigen Schwankungen im letzten Akte, Dank dem künstlerischen Zusammenwirken unserer trefflichen heimischen Kräfte eine recht abgerundete und gelungene. Ganz vortrefflich löste Frau Hettstedt ihre Aufgabe als Hamlets Mutter; der Gehalt tragischer Kraft und Wärme, welcher die Leistungen der Künstlerin auszeichnet, machte die Scene mit Hamlet zu einer der wirkungsvollsten. Hr. Knopp gab in der Anlage seines Polonius so feine treffende Züge, daß die Darstellung von Bedeutung hätte werden müssen, wenn nicht im Verlauf derselben eine auffallende Verblassung eingetreten wäre; selbst durch zu leises Sprechen ging uns so Manches davon verloren. Hr. Lehmann als König, Hr. Reinhardt als Laertes und Frau Savits als Ophelia hatten Aufgaben zu bezwingen, welche ihren Individualitäten gerade nicht am günstigsten passen; wir achten trotzdem in den drei Leistungen die sichtbare und würdige Bestrebung, denselben gerecht zu werden. Herr Höfer gab den Geist von Hamlets Vater mit der ganzen berechtigten Intention, einen, den Modulationen der realen menschlichen Stimme entgegengesetzten, klagend monotonen Ton anzuschlagen, nur hatte derselbe hie und da etwas zu aufgezwungen Absichtliches. Dahingegen wirkte Herr Savits durch die warme, lebendig empfundene Darstellung seines Horatio sehr wohlthuend und ebenso gelungen war Herrn v. Milde’s Leistung als Schauspieler.“