Weimarische Zeitung, Nr. 272, 20.11.1873, S. 3: „Wir wissen alle, welche Schwierigkeiten eine solche Aufführung heute mit sich bringt, und in Anbetracht derselben waren die Darstellungen wohl als sehr rühmlich anzuerkennen. Wo es an der geeigneten Individualität des Einzelnen gebrach, trat für uns das harmonische Ineinandergreifen des Ganzen entschädigend ein, und wie bedeutend dies auf das gesammte Publikum des gedrängt vollen Hauses wirkte, ließ sich an dem reichlich gespendeten Beifall ermessen. […] an den Hauptrollen war ziemlich Wesentliches auszusetzen, und doch haben wir, abgesehen von der letzten Scene des Max und ebenderselben der Thekla, bei Allen die geistige Auffassung und das künstlerische Maß, welches vermied, aus dem Rahmen des Ganzen herauszutreten, lobend anzuerkennen. Herr Dalmonico ist der völligen Beherrschung einer Aufgabe wie Wallenstein noch nicht gewachsen; wir mußten das Imponirende einer in sich abgeschlossenen, großartigen Natur noch vermissen; ebenso waren die Momente heldenhafter Energie noch ziemlich farblos und matt. Trotzdem gefiel uns die wohl durchdachte, würdige Anlage, die sich keines Paradepferdes bemächtigt, um zur Schädigung des Ganzen darauf herumzureiten. Herr Savits ließ uns vergeblich auf den schwärmerisch innigen Ton hoffen, ohne welchen Max eine unnatürliche Erscheinung wird; da, wo die heldenhaften Züge heraustreten, war ein feuriges Leben in seiner Darstellung – bis eben auf jene letzte Scene, die in unschöner Weise über das Maß hinausging. Wenn Frl. Czermak mit jeder großen Rolle solche Fortschritte macht, wie ein solcher von Louise [in: Kabale und Liebe] zu Thekla zu bemerken war, so können wir ihr und uns nur gratuliren. Je mehr sie ihre Mittel beherrschen und ihre Auffassung klären lernt, um so mehr wird ein outrirtes Pathos verschwinden und ihre seltene dramatische Befähigung sich geltend machen. Sowohl die Hauptscene in den ‚Piccolomini‘, wie auch die Scene mit dem schwedischen Hauptmann in ‚Wallenstein’s Tod‘ wirkten ergreifend durch Wärme und Innerlichkeit ihrer Darstellung. Aus dem Ensemble der kleineren Rollen können wir, des bemessenen Raumes wegen, nur noch Einzelnes herausheben, wollen aber gleich bemerken, das sämmtliche Darsteller eine rührenswethe Hingabe an ihre Rollen bekundeten. Vorzüglich war vor Allen Frau Hettstedt als Gräfin Terzky; die geistige Schärfe und Klarheit, mit denen sie dem Wallenstein so nahe steht, wurde von der intelligenten Künstlerin trefflich, und zwar im echten, hohen Stil der Tragödie dargestellt. Ihr zunächst stand Herr Knopp in seiner äußerst prägnanten und originellen Auffassung des Isolani. Wenn Herr Lehmann schon in der ersten Scene mit Questenberg den Illo in so starken, lebendigen Zügen angelegt hätte, wie er ihn in der Hauptscene, beim Gastmahl entwickelte, so würden wir seine Darstellung eine der vollkommensten zu nennen haben; die letzterwähnte Scene, die auch im Zusammenspiel und in scenischer Einrichtung meisterlich war, übte eine wahrhaft zündende Wirkung. Wir wollen noch Herrn v. Milde für seine ebenso durchdachte wie würdige Durchführung der Rolle des Oktavio, Herrn Cabus für die richtige und konsequente Auffassung des Questenberg und Herrn Brock für die warme, belebte Darstellung des schwedischen Hauptmanns danken und schließlich in Kürze erwähnen, daß ‚Wallenstein’s Lager‘ ein vorzüglich abgerundetes Ganze war, in dem Jeder das Beste that und nur Herr Hettstedt sich sein Privilegium des eigenen Spaßes vorwegnahm, was er, abgesehen davon, daß Schiller in vollendeter Weise bewiesen hat, seinen Kapuziner allein zeichnen zu können, auch um seiner sonstigen Darstellung willen gar nicht nöthig gehabt hätte, denn Auffassung, Ton und äußere Anlage waren vorzüglich, ebenso drastisch wie ergötzlich. Wir können unseren Bericht nicht schließen, ohne nochmals mit hoher Befriedigung auf den Geist der gesammten Darstellung eines solchen Kunstwerkes zu blicken. Einzelne Stimmen des Publikums üben eine weit schärfere Kritik als unsere Feder; wir möchten denselben zu erwägen geben, daß die virtuose Leistung des Einzelnen ganz gewiß nicht das Wichtigste in der Darstellung eines Kunstwerkes ist, und abgesehen davon, daß man selbst mit den Mitteln der größten Theater kaum mehr solche Einzelne finden kann, muß ein kunstsinniges Publikum das Ganze erfassen, wie es uns hier einmal wieder ohne willkürliche, schädigende Striche, ohne die Dichtung der Darstellung unterzuordnen, geboten wurde, und muß dem Gedanken fern bleiben, daß nur große Namen auf dem Zettel Genuß und Verständniß des Werkes ausmachen.“